Engpass + Forum-Theater in Deutschland, ein Abriss von 1999

Fritz Letsch


 
in einem Boal-Schwerpunkt-Heft (34) der

Zeitschrift für Theaterpädagogik – Korrespondenzen

Auf dieser Seite stellt das Deutsche Archiv für Theaterpädagogik an der Hochschule Osnabrück archivierte Dokumente der „Zeitschrift für Theaterpädagogik – Korrespondenzen“ bereit. (Aus PDF nur teilweise korrigiert)


seit 18 jahren mach ich nun forum-theater,
mit den verschiedensten gruppen:

 
angefangen in der kirchlichen und gewerkschaftlichen jugend, friedensarbeit und ökologie, politische bildung und verbände, sozialarbeits- und lehrerfortbildung, mit speziellen gruppen und auf großen veranstaltungen, sehr vielen leuten hab ich die methoden des statuen-baus beigebracht, in vielen wochenend-werkstätten forum-szenen aus den themen der teilnehmenden entwickelt.  
 
viele haben bei mir in längerfristigen seminar-reihen auch gelernt, diese methoden wiederum in ihrer beruflichen praxis und mit ihren zielgruppen einzusetzen. 
 
auf tagungen wie der „ständigen konferenz für spiel und theater an deutschen hochschulen" wird mit einer selbstverständlichkeit über boals methoden gesprochen, als würde jeder täglich damit arbeiten

aber niemand tut es. zumindest nicht offensichtlich. die paar kollegen, die damit auftreten, kann ich an drei Händen aufzählen. der rest weiß bescheid. oder so. forum-theater funktioniert hier nicht.  
 
gäbe es nicht das gegenbeispiel der wiener gruppen, würde ich es fast selber glauben. aber das irritierende dahinter ist: es wird zu anderen dingen benutzt, in anderen kontexten, anders, als es entstanden ist.  
 
auch ich verwende die methoden längst nicht nur mit offensichtlich unterdrückten:

in der betrieblichen fortbildung und in der teambildung, in kommunikations-schulung und sozialwesen ausbildung, und trotzdem ist es mir wichtig, damit immer wieder auch auf die bühne zu kommen. 
 
ein projekt der studierenden mit flüchtlingskindern und jugendlichen, die an einem öffentlichen abend fünf forum-szenen aus ihrem leben auf die bühne stellen, ist für mich eine der sternstunden des jahres, und es ist wirklich größer, die ganze kraft eines interessierten publikums in der arbeit an einem schweren thema zu spüren.  
 
in den gestalt-ausbildungen lerne ich derzeit, was wir dabei großartiges leisten:

dort ist es als ENGPASS beschrieben, was wir im forum-theater auf die bühne stellen: die situation, in der ich nicht mehr weiter weiß, mich verzweifelt und einsam fühle, am ende der kräfte und ideen.  
 
der joker holt die hilfe aus dem publikum: 
 
nicht als hebammen und sozialarbeiter, sondern als leute, die selbst in die gleiche problematik gehen wollen, ihre fähigkeiten und varianten darin erproben, aus der situation zu denken anfangen ...  
 
diese joker-arbeit, jemand zu ermutigen, auf die bühne zu kommen und diesen eigenen versuch zu machen, haben viele in den seminaren nicht angefangen, nicht übernommen. vielleicht hängt dort die übertragung in unsere kultur wirklich:

von der deutschen sprech-bühne immer mit garantierten lösungen verkleistert, können wir uns keinen wirklichen offenen prozess dort vorstellen, wodurch das forum-theater immer auf die kleinen (bis kirchentags-großen) ereignisse beschränkt bleibt.  
 
das wäre auch gut und nett so, warden wir nicht zwischen den kürzungen in der bildungsarbeit verhungern und in den routinen der hochschulen untergehen. 
 
die kraft der politischen arbeit, die in der methode steckt, wird in akuten kriegszeiten immer wieder mal kurz angefragt, aber nur von wenigen tatsächlich in ihre langfristige arbeit übernommen. 
 
dazu hätte ich mir auch immer mehr kollegialen austausch gewünscht, aber theater spielen und schreiben sind eben doch ein widerspruch. oder?

Forum-Theater in Deutschland, ein Abriss Oder warum wir hierzulande kein Theater der Unterdrückten brauchen. Fritz Letsch 
 
Im Unterschied zu Österreich mit ähnlicher politisch- kultureller Situation hat sich im deutschen Raum keine feste Forum-Theater-Gruppe über längere Zeit gehalten. 

Aus vielen Arbeits-Partnerschaften und Versuchen intensiverer Zusammenarbeit sind zwar immer wieder neue Projekte und Splitter entstanden, aber meines Wissens keine stabile Formation, die sich gemeinsam weiter entwickeln und regelmäßig austauschen würde.  
 
Im Wiener Raum gibt es dagegen einige feste Gruppen, die seit vielen Jahren konstant arbeiten, auch zu den internationalen Festivals fahren und nun selbst 18.-26. Oktober '99 in Wien ein Forum-Festival veranstalten. 
 
Arbeiten zur Adaption in der BRD  
Simone Neuroth hat die Situation bis zum Anfang der 90er Jahre untersucht', Helmut Wiegand hat in seiner Dissertation' Modelle und Beispiele der eigenen Arbeit mit denen von Kolleginnen zusammengestellt.  
 
Viele Workshops, keine Aufführungen 
Das kurz gefasste Ergebnis wäre: Die Methoden werden in Workshops zwar vermittelt und in der Szenen- Entwicklung angewandt, aber nur in geringem Umfang tatsächlich als Forum-Theater auf Bühnen und in die Öffentlichkeit gebracht.  
 
Für mich hatte, als ich 1980 Augusto das erste Mal auf einer Bühne und in der Joker- Arbeit mit Forum- Szenen erlebte, diese Fähigkeit, die Spannung der Anleitung des Publikums mit der Bühnenpräsenz der Szenen souverän zu verknüpfen, den höchsten Reiz; 
in den folgenden Jahren waren bei den Workshops, damals oft über das Theaterhaus Berlin organisiert, auch in erster Linie Theater- Profis, die auch die Lust am öffentlichen Auftritt mitbrachten. 
 
 Einige der schärfsten und prägendsten Arbeiten damals waren Folter- Szenen vor der Philharmonie, aber auch etliche unsichtbare Auftritte zum Beispiel zu Reagans Besuch. 
 
In meiner eigenen Arbeit ist in der Kurzatmigkeit der Seminare die gut vorbereitete öffentliche Situation auf der Strecke geblieben, mit Mühe kommt die Präsentation der Semester-Arbeiten unserer Sozialwesen- Studierenden mit Flüchtlingskindern auf eine Stadtteil-Bühne. 
 
In der Paulo-Freire-Gesellschaft hat sich nun eine neue Gruppe in Berlin gebildet, die bisher aber auch hauptsächlich "auf dem Parkett" bleibt und in Workshops arbeitet. 
 
Keine politische Bewegung?  
 
In den verschiedenen Szenen wird zwar immer eine politische Grundlinie vorausgesetzt und akzeptiert, aber so richtig im Dienst einer politischen Veränderung steht schon lange keine Gruppe mehr: 
 
Wir haben nur einzelne Punkte zu verändern, gegen Rassismus und Gewalt, aber nicht gegen Unterdrückung an sich zu kämpfen ...  
 
So wurde mir auch des öfteren vorgeschlagen, den Titel ‚Theater der Unterdrückten` zu verändern, in einzelnen Fällen habe ich dem auch zugestimmt; so haben wir im Institut für Jugendarbeit des Bayrischen Jugendring 1988 das Aktionstheater eingeführt, weil damals noch mit Einspruch des Präsidenten zu rechnen war. 
 
Inzwischen ist es umgekehrt: Der Vorstand will die Methodik, aber nur ein Teil der Mitglieder zieht mit. Das Theater der Unterdrückten ist zur Methode geworden, nicht nur dort. 
 
Die Methoden analog den Büchern  
Das Suhrkamp Buch3 gab in seiner ersten Ausgabe noch einen starken Impuls, der Titel der erweiterten Fassung sprach schon wieder eine andere Szene an.  
 
Unterdrückte waren in den siebziger und achtziger Jahren noch klare Gruppen, denen die Solidarität galt, mit der Weiterentwicklung der Außenpolitik, auch der Dritte-Welt- zur Eine-Welt-Bewegung ist die Schärfe dieses Blickes verlorengegangen, und nur gründlich denk-gelernte Menschen begreifen die Europa-Politik als Anti- Flüchtlingspolitik, als Gartenzwergen-Gegenwelt der selbstgemachten Wahrheiten. 

Einige graue Broschüren4 und Büchlein5  

holten einzelne Möglichkeiten in den Vordergrund, vor allem das ,Unsichtbare Theater' hatte es etlichen Spontis in der Spaßguerilla und im Freien Theater 6 angetan. 
 
Das anonyme' Auftreten versprach doch immerhin den Spaß der versteckten Kamera, den die einen politisch, die anderen privat nutzen wollten. 
 
Im Universitären dürften Daniel Feldhendlers Arbeiten 8 geblieben sein, der nach der Auseinandersetzung mit dem Psychodrama in den Fremdsprachenunterricht gewechselt war.  
 
Zwar ein stattliches Buch, aber vor allem in der Sekundär- Betrachtung stark, ist Bernd Rupings Zusammenstellung "Gebraucht das Theater 9", auf das ich, trotz großer Verbreitung, kaum Rückmeldungen bekommen habe.  
 
Viele Diplom- und Magister-Arbeiten
haben im Lauf der Jahre den Weg der Methoden skizziert, die erste mir bekannte war von Barbara Frey, die mit dem Pariser Zentrum Kontakt hatte, die letzte Magisterarbeit von Vivi Balby nahm auch noch die Entwicklung des 'Legislativen Theater' in den Vergleich der Theater-Situationen auf. 
 
Einige wie Irmgard Lerchl haben vor allem die Anwendung der Methoden in der Jugend- und Sozialarbeit untersucht, für den wirklichen Theaterbereich weiß ich keine Arbeiten. 
 
Endlich in deutsch: Der Regenbogen der Wünsche 
 
Jürgen Weintz hat nun endlich die Übersetzung des Buches ins Deutsche besorge°, aber in dieser Marktsparte dürfte inzwischen schon das Psychodrama kalte Füße bekommen haben: 
 
Theater soll für viele junge Leute wieder mehr Berufs Hoffnung (Schauspielerin) und Magie sein, vor Psychologie haben die meisten zu sehr Angst. 
 
Den Ausweg ins nette Impro-Theater "zum Ablachen" haben schon etliche versucht, aber kreativ machen auch diese Methoden nur, wenn die Grundlagen der Arbeit stimmen, viele der Gruppen dieser Sparte bleiben aber lieber auf der Comedy-Variante und verlieren damit den Biss der echten Theaterarbeit.

Die Methoden in den politischen Szenen 
 
Von der Soli- und Friedensbewegung bis zur Umwelt ging die Anwendung des Theater der Unterdrückten durch alle Bewegungen unserer Zeit. 
 
Was aber bei den Alt-Linken als zu lustig abgetan worden war, ist bei den Jungen in den ökologischen Gruppen als Mittel zum Zweck geworden. 
 
Dazwischen sind allerdings viele Jahre spannender Arbeit mit den buntest gemischten Szenen: 
 In der Friedensbewegung waren plötzlich Gruppen mit schon älteren Leuten darunter, was vielen Auftritten die gediegene Form sicherte, die unsichere Jugendliche nicht so leicht halten können.  
 
In den Sparten der beruflichen Auslandsarbeit (wie auch dem ASA-Programm der Carl-Duisberg-Gesellschaft) sind die Arbeiten der interkulturellen Kommunikation entstanden, die inzwischen schon zum Standard der beruflichen Fortbildung etlicher Unternehmen gehören.
 
Politische Bildung: alternativ wird staatlich  
 
Resistent gegen alle Überzeugungsversuche hatten sich fast alle Sparten der Parteien gezeigt: Bis auf wenige Projekte der damals von unten organisierten grün- nahen Stiftungen" und der oberösterreichischen(!) SPÖ ist das Theater der Unterdrückten dort draußen vor geblieben, sind die Methoden einschließlich des ‚Legislativen Theater' nur mit Skepsis beäugt.  
 
Eines der Gegenbeispiele, das Europäische Treffen in München 1997 mit Augusto Boal im Münchner Rathaus, ist zwar im neuesten englischen Buch von Augusto Boal „Legislative Theater' als "Symbolismus in München" erwähnt, die Videoaufnahmen liegen allerdings immer noch ungeschnitten.
 
Bewegungsreste, Neoliberalismus und fehlende Kritik  
 
Mit einer inszenierten Expertenanhörung hatten wir im April 1998 auf dem Münchner Marienplatz das Publikum abstimmen lassen, ob wir die "Flüchtlinge aushungern" sollten: 
 
87% waren dagegen, der Bundestag stimmte auf Initiative des Bundesrats in den folgenden Tagen trotzdem für die Kürzung der Sozialhilfe für geduldete Asylbewerber. 
 
Forum-Theater in Deutschland, ein Abriss Leider wurde der Verlauf innerhalb der Gruppe [über die Grenze] scharf kritisiert, so dass weder eine vernünftige Auswertung, noch eine vollständige Dokumentation des gelungenen Auftritts möglich sind.  
 
Andere Gruppen in der "Kommunikationsguerilla" sind da nicht so dogmatisch, stellen aber wieder das ,Unsichtbare Theater' neben die Aktionen des (politischen) Torten- Werfens und Flugblatt- Fälschens.  
 
Die Methoden in den Ausbildungen Im Lauf der Jahre hat sich nun ja auch die Thea-ter-Pädagogik entwickelt, ist sie von der beruflichen Skurrilität zum Hochschulstudiengang mit Lehrplan geworden. Allmählich erobert sie sich auch ihre verschiedenen Arbeitsfelder, in erster Linie über die Schnittkanten Schule und Theater, Jugendclubs (im Osten) und Projekte der Jugend-arbeit (mehr im Westen). 
 
In der Jugend-und Sozialarbeit 
sind vor allem die kommunikativen Möglichkeiten von Statuen -, Bilder- und Forum-Theater in der Bearbeitung verschiedenster Themen gefragt.  
 
Brenzlig wurde es allerdings immer, wenn sich die Teilnehmenden zu keinem Thema entscheiden konnten, weil die einzelnen Vorschläge zu heiß oder zu weit weg von ihrem eigenen Erleben waren.  
 
Mit meinem Tabu-Katalog an Hand der ,fünf Finger' habe ich zwar noch jede Gruppe zu ihren heißesten Themen gebracht, diese sind aber dann wieder meist so persönlich geladen, dass sie für die Teilnehmenden nicht bühnenreif werden.  
 
Aus dem entwicklungsdienst theater - methoden, der zu Beginn eine kraftvolle Vierergruppe gewesen war, ist die offene Kolleg*innengruppe in der Paulo-Freire-Gesellschaft geworden, nur die Fortbildungen für Sozial- und andere Pädagoginnen mit Alwin Baumert in Deinsdorf sind regelmäßige schöne Erinnerungen an intensive Seminare mit öffentlichen Forum- Abenden in Nürnberg.  
 
Lehrerinnen sind resistent und auch die Lehrer- Fortbildungen sind alles andere als Unterdrückten- Theater: Bis auf die wenigen löblichen Ausnahmen ist den meisten Beteiligten der Ton zu ehrlich und die Situation zu wenig verbal zu verkleiden, wo sie doch immer etwas Schönes wollen Die interkulturelle Situation einer 7. Klasse in einer Münchner Hauptschule mit ihrer Klassenleiterin bildete den Ausgangspunkt unserer Zusammenarbeit: SchülerInnen aus 7 Herkunftsländern lernen mit Hilfe von Theater- Methoden, die auch noch aus einem anderen Kontinent stammen, ihre eigenen Situationen in Bildern und Szenen darzustellen. Im Video "Theater, wie im richtigen Leben'3" hat Wolfgang Fänderl diesen Prozess festgehalten, der immerhin bis zu einem Elternabend und einer Sommerfest- Aufführung ging. Aber weder in Schulen noch in der Lehrerfortbildung gibt es die Mittel für solche Projekte.  
 
Hochschulen: Kultur, Politik, Soziologie, Psychologie?  
 
Zuerst erscheint es ja widersinnig, das Theater der Unterdrückten gerade zu den Privilegierten zu bringen, entsprechend zögerlich bleibt auch die Aufnahme: 
 
Mit wenigen Ausnahmen behaupten zwar fast alle KollegInnen auf den Treffen der Ständigen Konferenz für Spiel und Theater an deutschen Hochschulen, Boals Techniken einzusetzen, aber auf Nachfrage bleibt es dann doch bei ein wenig Szenen- Improvisation, kommt kein einziger Forum-Versuch zutage. 
 
Ausgenommen das Projekt „Der brüchige Habitus" von Margret Bülow-Schramm und Dietlinde Gipser an den Universitäten Hamburg und Hannover."  
 
Ein wunderbarer Workshop an der Alice-Salomon-Fachhochschule Berlin hatte ein Projekt der Psychologen zu Gast, das ein Vergleich von Holzkamps Menschenbild mit dem Freires war: 
 
In Szenen- Bildern kam eine so gute und grundlegende Verständigung zustande, die dann auch in öffentliche Aktionen umgesetzt werden wollte. Lange her ... 
 
Entwicklungen in der betrieblichen Fortbildung  
 
Als nun die Gelder im Bildungsbereich immer knapper und die Seminare immer kürzer wurden, kam auch die Frage, ob ich an Unternehmenstheater Interesse hätte. 
 
Ich musste, staunte aber auch nicht schlecht, als auf dem ersten Festival dieser kundenfreundlichen Produkte der universitäre Festredner wiederum von Boal sprach: 
Die neuen Theater-Methoden ... 15 Boal-Teil  
 
Forum-Theater in Deutschland, ein Abriss  
Sie sind nur nicht so recht in jenem Flair angekommen: Die Sparte der Workshops ist zugunsten der vorgefertigten netten Stücke zurückgenommen worden, der "Laien-Aspekt" erscheint wieder einmal nicht bühnenreif.  
 
Management Mein Glück war, dort meinen Partner für das Visions-Theater kennenzulernen, der in der Unternehmensentwicklung nach kommunikativen Lösungen sucht. 
 
Zwar sind wir auch dort weit entfernt von öffentlichen Auftritten, aber immer-hin mitten in den Konfliktsparten des Arbeitslebens.  
 
Teambildung ist eines der wichtigsten Wörter in der Arbeit mit Personal-entwickler*innen und Informationstechnologen. Durch die angeheizte Konkurrenz- Situation unter den Mitarbeitenden ist die Arbeit in vielen Sparten nur noch schwer zu erledigen, wenn sich Misstrauen und Neid breit gemacht haben.  
 
Dazu sind viele Führungskräfte, die aus dem technischen Bereich aufsteigen, nicht in der Lage, gute Stimmung und kreative Zusammenarbeit anzuregen. Was wir alle in den Schulen und Ausbildungen gelernt haben, ist Wertung und damit meist Abwertung der anderen, seltener Wert- Schätzung und wirkliche Anerkennung. 
 
Dabei ist es eine der schönsten Situationen, solche Erlebnisse mit Forum- Methoden in neue Erfahrungen der Zusammenarbeit umzumünzen. 
 
Kommunikation reduziert sich bei vielen inzwischen auf Technologie, dahinter erscheint der Schrecken der Inhaltslosigkeit: Was haben wir uns wirklich mitzuteilen?  
 
Außer den Facts (wo bist du?) und ein wenig Befindlichkeit (danke, gut) gibt es natürlich noch die ganze Breite der Beziehungskisten, aber den Blick auf die tatsächliche Fähigkeit zum inhaltlichen Austausch und zu zukunftsfähiger Gestaltung wagen nur wenige.  
 
Den Zugang zu intensiverer Auseinandersetzung hat längst die ganze Sparte der Moderation übernommen, die mehr oder weniger geschickt auf die einzelne Person oder Gruppe in Veranstaltungen und Präsentationen (& Shows) eingeht.  
 
Die Qualität der Rolle des Jokers, die natürlich aus der Vorarbeit der Forum- Gruppe und ihres in die Enge geführten Themas lebt, habe ich dabei sehr selten erlebt. 
 
Vielleicht haben wir es bisher zu wenig geschafft, diese Art der Anleitung und des offenen Dialogs'6 tatsächlich zu vermitteln. Politisch wie pädagogisch geraten wir dabei oft in die Wahrnehmungsfallen unserer Kultur: 
 
Wir thematisieren nicht das Gefälle in den meisten verordneten Dialogen (beginnend in der Schule) und beachten nicht, dass ein offenes Ziel die Grundlage der Verständigung ist, wenn nicht eine revier-verteidigende Diskussion daraus werden soll.  
 
Wohin nun weiter?  
 
Der Weg zu den Hintergründen und Bedingungen des ,Legislativen Theater' stellt für mich derzeit die breiteste Spannung dar: 
 
Von der genauen Erfassung einer politischen Problematik und ihrer szenischen Umsetzung für das entsprechende Publikum bis zur Gestalt" des offenen Dialogs liegt im Joker wie in der Aufgabe der Theaterpädagogen die große Kunst neuer Verständigungsformen. 
 
 Ein größeres Projekt kann auch die Süd-Nord-Partnerschaft mit dem CTO RIO'8 werden, das im Moment einige ASA-Stipendiat*innen mit den Coringas (Joker*innen) dort vorbereiten. 
 
Als Träger müssten wir dafür vielleicht einen Verbund der Leute an Hochschulen und Theaterpädagogischen Zentren bilden, die mit den Methoden des Theater der Unterdrückten vertraut sind.  
 
Das heißt für mich: Wieder auf die Bühne, mit Forum-Szenen, die den Engpass (s.d.) der verschiedenen Ebenen spürbar machen, die wie in Boals Modell unsere kleinliche Unterteilung von privat und politisch aufheben: 
 
In Unternehmen wird heute weit klarer über den Neoliberalismus (dort: Marktwirtschaft) gesprochen, als an den Hochschulen, nur gibt es dort keinerlei Interesse, das auf eine öffentliche Bühne zu bringen. 
 
Aber auch das werden wir noch lernen  
 
Anmerkungen  
Simone Neuroth, Augusto Boal „Theater der Unterdrückten in der pädagogischen Praxis, Weinheim 1994  
2 Helmut Wiegand, Die Entwicklung des Theaters der Unterdrückten seit Beginn der achziger Jahre, ibidem-Verlag Stuttgart 1999  
3 Augusto Boal, Theater der Unterdrückten + Übungen und Spiele für Schauspieler und Nicht- Schauspieler SUHRKAMP-TB NE 361, Frankfurt 1979 +1989 '  
graue Literatur: z.B. in Michael Kramer: Verkleidungen, Artikel in Strassentheater etc. auch etliche meiner Artikel siehe

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